Be­schluss vom 23.08.2023 -
BVer­wG 4 BN 18.23ECLI:DE:BVer­wG:2023:230823B4B­N18.23.0

  • Zi­tier­vor­schlag

Be­schluss

BVer­wG 4 BN 18.23

  • OVG Baut­zen - 09.03.2023 - AZ: 1 C 22/22

In der Nor­men­kon­troll­sa­che hat der 4. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts
am 23. Au­gust 2023
durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Schip­per,
den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Prof. Dr. Külp­mann und
die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Em­men­eg­ger
be­schlos­sen:

  1. Die Be­schwer­de der An­trag­stel­le­rin ge­gen die Nicht­zu­las­sung der Re­vi­si­on in dem auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 9. März 2023 er­gan­ge­nen Ur­teil des Säch­si­schen Ober­ver­wal­tungs­ge­richts wird zu­rück­ge­wie­sen.
  2. Die An­trag­stel­le­rin trägt die Kos­ten des Ver­fah­rens.
  3. Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird für das Be­schwer­de­ver­fah­ren auf 20 000 € fest­ge­setzt.

Grün­de

1 Die auf al­le Zu­las­sungs­grün­de des § 132 Abs. 2 Vw­GO ge­stütz­te Be­schwer­de bleibt er­folg­los. Sie ver­fehlt über­wie­gend die Dar­le­gungs­an­for­de­run­gen und ist im Üb­ri­gen un­be­grün­det.

2 I. Die Re­vi­si­on ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO zu­zu­las­sen. Die Rechts­sa­che hat nicht die grund­sätz­li­che Be­deu­tung, die ihr die Be­schwer­de bei­misst.

3 Grund­sätz­lich be­deut­sam im Sin­ne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO ist ei­ne Rechts­sa­che, wenn in dem an­ge­streb­ten Re­vi­si­ons­ver­fah­ren die Klä­rung ei­ner bis­her höchst­rich­ter­lich un­ge­klär­ten, in ih­rer Be­deu­tung über den der Be­schwer­de zu­grun­de lie­gen­den Ein­zel­fall hin­aus­ge­hen­den, klä­rungs­be­dürf­ti­gen und ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Rechts­fra­ge des re­vi­si­blen Rechts (§ 137 Abs. 1 Vw­GO) zu er­war­ten ist. In der Be­schwer­de­be­grün­dung muss dar­ge­legt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 Vw­GO), al­so nä­her aus­ge­führt wer­den, dass und in­wie­weit ei­ne be­stimm­te Rechts­fra­ge des re­vi­si­blen Rechts im all­ge­mei­nen In­ter­es­se klä­rungs­be­dürf­tig und war­um ih­re Klä­rung in dem be­ab­sich­tig­ten Re­vi­si­ons­ver­fah­ren zu er­war­ten ist (stRspr, vgl. BVer­wG, Be­schlüs­se vom 2. Ok­to­ber 1961 - 8 B 78.61 - BVer­w­GE 13, 90 <91> und vom 14. Ok­to­ber 2019 - 4 B 27.19 - Buch­holz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4).

4 1. Die Be­schwer­de möch­te rechts­grund­sätz­lich klä­ren las­sen,
ob die Ge­mein­de bei Er­lass ei­ner Ver­än­de­rungs­sper­re ver­pflich­tet ist, nach au­ßen hin ei­ne ru­di­men­tä­re Pla­nungs­ab­sicht und ein Pla­nungs­ziel er­ken­nen zu las­sen, so­wie,
ob ei­ne Ver­än­de­rungs­sper­re al­lein und aus­schlie­ß­lich zur Ver­hin­de­rung ei­nes Bau­vor­ha­bens zu­läs­sig ist.

5 Die Fra­gen ha­ben kei­ne grund­sätz­li­che Be­deu­tung, weil sie in der Recht­spre­chung ge­klärt sind. Ei­ne Ver­än­de­rungs­sper­re darf nur er­las­sen wer­den, wenn die Pla­nung, die sie si­chern soll, ein Min­dest­maß des­sen er­ken­nen lässt, was In­halt des zu er­war­ten­den Be­bau­ungs­plans sein soll. We­sent­lich ist da­bei, dass die Ge­mein­de im Zeit­punkt des Er­las­ses ei­ner Ver­än­de­rungs­sper­re be­reits po­si­ti­ve Vor­stel­lun­gen über den In­halt des Be­bau­ungs­plans ent­wi­ckelt hat. Ei­ne Ne­ga­tiv­pla­nung, die sich dar­in er­schöpft, ein­zel­ne Vor­ha­ben aus­zu­schlie­ßen, reicht nicht aus (stRspr, vgl. BVer­wG, Ur­tei­le vom 9. Au­gust 2016 - 4 C 5.15 - BVer­w­GE 156, 1 Rn. 19 m. w. N. und vom 25. April 2023 - 4 CN 9.21 - ju­ris Rn. 32). Dass die­se Recht­spre­chung ei­ner Wei­ter­ent­wick­lung oder der Kor­rek­tur be­dürf­te, zeigt die Be­schwer­de nicht auf.

6 2. Die Be­schwer­de wirft die Fra­ge auf,
ob die Ge­mein­de­ver­wal­tung ver­pflich­tet ist, den Stadt­rat vor Be­schluss ei­ner Ver­än­de­rungs­sper­re voll­stän­dig über den In­halt des in Auf­stel­lung be­find­li­chen Be­bau­ungs­plans zu in­for­mie­ren so­wie dar­über, ob es ge­gen­über den ur­sprüng­li­chen Pla­nungs­zie­len Än­de­run­gen ge­ge­ben hat.

7 Sie legt in­des kei­nen Klä­rungs­be­darf dar. Das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt hat den Ein­wand, der Ge­mein­de­rat sei bei sei­ner Be­schluss­fas­sung un­zu­rei­chend in­for­miert ge­we­sen, am Maß­stab des ir­re­vi­si­blen säch­si­schen Kom­mu­nal­rechts be­ur­teilt und zu­rück­ge­wie­sen (UA Rn. 33 ff.). Mit Blick auf wel­che Vor­schrift des re­vi­si­blen Rechts in­so­weit Klä­rungs- oder Kor­rek­tur­be­darf be­stehen könn­te, er­läu­tert die Be­schwer­de nicht.

8 3. Auch die wei­te­ren als rechts­grund­sätz­lich be­zeich­ne­ten Fra­gen füh­ren nicht zur Zu­las­sung der Re­vi­si­on nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 Vw­GO.

9 a) Die Be­schwer­de möch­te klä­ren las­sen, ob ei­ne Ver­än­de­rungs­sper­re nach § 14 Abs. 1 BauGB noch er­las­sen wer­den darf, wenn der Auf­stel­lungs­be­schluss für den Be­bau­ungs­plan be­reits meh­re­re Jah­re zu­rück­liegt. Die Fra­ge ist in der Recht­spre­chung des Se­nats be­ant­wor­tet: Das Bau­ge­setz­buch re­gelt nicht, wel­che Zeit­span­ne längs­tens zwi­schen der Be­schluss­fas­sung über die Auf­stel­lung ei­nes Be­bau­ungs­plans und dem Er­lass der Ver­än­de­rungs­sper­re lie­gen darf. Die­ser Zeit­raum kann auch län­ger sein als die in § 17 BauGB ge­re­gel­te Dau­er der Ver­än­de­rungs­sper­re (BVer­wG, Be­schluss vom 26. Ju­ni 1992 - 4 NB 19.92 - Buch­holz 406.11 § 14 BauGB Nr. 21 S. 10).

10 b) Das Bau­ge­setz­buch be­ant­wor­tet die als grund­sätz­lich auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge, ob die Ge­mein­de auf die An­re­gung ei­ner Fach­be­hör­de ei­nen Plan­ent­wurf nach des­sen öf­fent­li­cher Aus­le­gung ver­än­dern darf. Die Ge­mein­de hat die­se Be­fug­nis (vgl. § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB).

11 c) Es ist nicht klä­rungs­be­dürf­tig, dass ei­ne Ge­mein­de ei­ne Ver­än­de­rungs­sper­re er­las­sen darf, wenn sie im Bau­ge­neh­mi­gungs­ver­fah­ren die voll­stän­di­ge "Ge­neh­mi­gungs­ho­heit" hat. Auch sol­che Ge­mein­den kön­nen ei­ne Ver­än­de­rungs­sper­re zur Si­che­rung ih­rer Pla­nung er­las­sen, die Trä­ge­rin­nen der Bau­ge­neh­mi­gungs­be­hör­de und da­her ver­pflich­tet sind, Bau­an­trä­ge ab­zu­leh­nen, die - aus wel­chen Grün­den im­mer - die Ge­neh­mi­gungs­vor­aus­set­zun­gen nicht er­fül­len.

12 II. Die Re­vi­si­on ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 Vw­GO we­gen ei­ner Ab­wei­chung von Ent­schei­dun­gen des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts zu­zu­las­sen.

13 Nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 Vw­GO ist die Re­vi­si­on zu­zu­las­sen, wenn das Ur­teil von ei­ner Ent­schei­dung (u. a.) des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts oder des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts ab­weicht und auf die­ser Ab­wei­chung be­ruht. Die­se Ab­wei­chung setzt ei­nen Wi­der­spruch in ei­nem abs­trak­ten Rechts­satz vor­aus, al­so ei­nen prin­zi­pi­el­len Auf­fas­sungs­un­ter­schied über den Be­deu­tungs­ge­halt ei­ner be­stimm­ten Rechts­vor­schrift oder ei­nes Rechts­grund­sat­zes (BVer­wG, Be­schluss vom 21. De­zem­ber 2017 - 6 B 43.17 - Buch­holz 421.2 Hoch­schul­recht Nr. 198 Rn. 4). In der Be­schwer­de­be­grün­dung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 Vw­GO die Ent­schei­dung be­zeich­net wer­den, von der das Ur­teil ab­weicht. Der Be­schwer­de ob­liegt es, aus ei­ner Ent­schei­dung des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts ei­nen tra­gen­den, abs­trak­ten Rechts­satz zu ei­ner re­vi­si­blen Rechts­vor­schrift zu be­nen­nen und dar­zu­le­gen, dass die Ent­schei­dung der Vor­in­stanz auf ei­nem ab­wei­chen­den abs­trak­ten Rechts­satz zu der­sel­ben Rechts­vor­schrift be­ruht. Für ei­ne Ab­wei­chung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 Vw­GO ge­nügt nicht der Vor­wurf, die Vor­in­stanz ha­be ei­nen abs­trak­ten Rechts­satz des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts feh­ler­haft oder gar nicht an­ge­wandt (stRspr, vgl. BVer­wG, Be­schlüs­se vom 19. Au­gust 1997 - 7 B 261.97 - Buch­holz 310 § 133 <n. F.> Vw­GO Nr. 26 S. 14 f. und vom 23. Au­gust 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).

14 Die Be­schwer­de macht ei­ne Ab­wei­chung von dem Se­nats­ur­teil vom 19. Fe­bru­ar 2004 - 4 CN 16.03 - (BVer­w­GE 120, 138 <148>) und von dem Se­nats­be­schluss vom 16. De­zem­ber 2013 - 4 BN 18.13 - (BRS 81 Nr. 130 S. 732) gel­tend und er­wähnt wei­te­re Ent­schei­dun­gen des be­schlie­ßen­den Se­nats (BVer­wG, Ur­teil vom 10. Sep­tem­ber 1976 - 4 C 39.74 - BVer­w­GE 51, 121 und Be­schlüs­se vom 1. Ok­to­ber 2009 - 4 BN 34.09 - Buch­holz 406.11 § 14 BauGB Nr. 29 Rn. 9, vom 15. März 2012 - 4 BN 9.12 - ZfBR 2012, 477 Rn. 3 und vom 8. Sep­tem­ber 2016 - 4 BN 22.16 - BRS 84 Nr. 52 S. 318). Sie be­nennt aber kei­nen abs­trak­ten Rechts­satz aus dem an­ge­grif­fe­nen Ur­teil, mit dem sich die Vor­in­stanz zu ei­nem Rechts­satz aus die­sen Ent­schei­dun­gen in Wi­der­spruch ge­setzt hät­te. Sie be­schränkt sich dar­auf, das Ur­teil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts im Sti­le ei­nes zu­las­sungs­frei­en Rechts­mit­tels zu be­an­stan­den und ein­zel­ne Äu­ße­run­gen der Be­richt­erstat­te­rin aus der münd­li­chen Ver­hand­lung zu kri­ti­sie­ren. Dies ver­fehlt die An­for­de­run­gen an die Dar­le­gung ei­ner Ab­wei­chung im Sin­ne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 Vw­GO. Dies gilt auch, so­weit die Be­schwer­de ei­ne Ab­wei­chung von dem Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 12. Ja­nu­ar 1967 - 1 BvR 1969/63 - (BVerf­GE 21, 73 <82 ff.>) gel­tend macht.

15 Der Ver­weis auf Ent­schei­dun­gen ei­nes Ober­ver­wal­tungs­ge­richts und ei­nes Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs führt nicht zur Zu­las­sung der Re­vi­si­on, weil die­se Ent­schei­dun­gen nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 Vw­GO di­ver­genz­fä­hig sind.

16 III. Die Re­vi­si­on ist nicht we­gen ei­nes Ver­fah­rens­man­gels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 Vw­GO zu­zu­las­sen. Die Be­schwer­de legt kei­ne Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör nach Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 Vw­GO dar.

17 Ei­ne Ent­schei­dung ist ei­ne das recht­li­che Ge­hör ver­let­zen­de Über­ra­schungs­ent­schei­dung, wenn das Ge­richt ei­nen bis da­hin nicht er­ör­ter­ten recht­li­chen oder tat­säch­li­chen Ge­sichts­punkt zur Grund­la­ge sei­ner Ent­schei­dung macht und da­mit dem Rechts­streit ei­ne Wen­dung gibt, mit der auch ein ge­wis­sen­haf­ter und kun­di­ger Pro­zess­be­tei­lig­ter nach dem bis­he­ri­gen Pro­zess­ver­lauf - selbst un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Viel­falt ver­tret­ba­rer Rechts­auf­fas­sun­gen - nicht zu rech­nen brauch­te (stRspr, vgl. et­wa BVer­wG, Be­schlüs­se vom 25. Mai 2001 - 4 B 81.00 - Buch­holz 310 § 108 Abs. 2 Vw­GO Nr. 34 S. 20 f. und vom 15. Ju­li 2022 - 4 B 32.21 - ju­ris Rn. 24). Die Be­schwer­de weist in­des selbst dar­auf hin, dass die Fra­ge der ord­nungs­ge­mä­ßen Aus­fer­ti­gung der Ver­än­de­rungs­sper­re in der münd­li­chen Ver­hand­lung durch ei­ne Zweit­aus­fer­ti­gung der Sat­zung er­ör­tert wor­den ist. Die Be­tei­lig­ten muss­ten da­mit rech­nen, dass das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt die­se Fra­ge be­han­deln und wie ge­sche­hen (vgl. UA Rn. 48 ff.) be­ant­wor­ten wür­de. Dass die An­trag­stel­le­rin die Auf­fas­sung der Vor­in­stanz für falsch hält, ver­letzt ih­ren An­spruch auf recht­li­ches Ge­hör nicht.

18 Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 154 Abs. 2 Vw­GO, die Fest­set­zung des Streit­werts auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.